ANP tagt zu EuGH-Urteil im Malamud-Fall

Auf den ersten Blick erscheint der kostenfreie Zugang zu harmonisierten Normen (hEN) als eine großartige Entwicklung. Unternehmen werden – teilweise erheblich – finanziell entlastet. Wichtiges Wissen wird weitläufig zugänglich. Die Entwicklung von harmonisierten Normen ist jedoch ein langwieriger und anspruchsvoller Prozess, der durch den freien Zugang ins Wanken geraten könnte.

Umsetzung und mögliche Folgen des Urteils im Malamud-Fall

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes im Fall Malamud fällt weniger gravierend aus, als Fachleute aus dem Bereich Normung befürchtet hatten. Im ursprünglichen Fall ging es einerseits um den kostenfreien Zugang zu vier, mit der Spielzeugrichtlinie korrespondierenden harmonisierten Normen nach Zugangsverordnung 1049/2001, aber auch um den Urheberrechtsschutz von harmonisierten Normen im Allgemeinen (Hier mehr erfahren). Die Generalanwältin hatte gefordert, diesen aufzuheben, da harmonisierte Normen als Teil des EU-Rechts nicht urheberrechtlich geschützt werden könnten.

Der EuGH urteilte, dass bei den Normen im vorliegenden Fall freier Zugang gewährt werden müsse, folgte aber nicht dem Antrag über die generelle Aufhebung des Urheberrechtsschutzes (Hier mehr erfahren).

Damit hat das EuGH die größte Sorge der anerkannten, europäischen Normungsorganisationen ausgeräumt. Denn diese finanzieren die Entwicklung und Aktualisierung von Normen und die dafür benötigten Expertisen mit dem Verkauf eben dieser Normen. Ohne das Urheberrecht an den harmonisierten Normen wäre die Qualität und Sicherheit von Normen nicht mehr zuverlässig zu gewährleisten. Die Normungsorganisationen gehen jedoch davon aus, dass es für andere hEN künftig ähnliche Rechtsfragen geben wird.

Die EU-Kommission hat nach der Urteilsverkündung am 05. März 2024 30 Tage Zeit, das Urteil umzusetzen.

Reaktionen der deutschen Normungsorganisationen

Um aus dem Urteil resultierende Handlungsbedarfe abzuklären, trat der Ausschuss Normenpraxis (ANP) am 15. und 19. März 2024 zusammen. Der Ausschuss ist das Bindeglied zwischen dem DIN und Normenanwendern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung und hat eine Reihe von Empfehlungen für die deutsche Bundesregierung entwickelt, die sich aus dem Malamud-Fall ergeben.

Für den Ausschuss zeigt das gefällte Urteil gesetzgeberische Lücken auf, die auf EU-Ebene behoben werden müssen. Die harmonisierten Normen sind eine wichtige Stütze des EU-Binnenmarktes, die es zu schützen gilt. Es müsste sichergestellt werden, dass …

  • die Freiwilligkeit von harmonisierten Normen erhalten bleibt. Dadurch müssten keine neuen Prüfpflichten oder Verantwortlichkeiten eingeführt werden.
  • der dynamische Ansatz des „Neuen Rechtsrahmens“ (New Legislative Framework, NLF) erhalten bleibt. Dieser erlaubt eine größere Flexibilität bei der Anwendung von Normen und die Unabhängigkeit der Normungsorganisationen.
  • die Anschlussfähigkeit an globale Normenwerke ISO und IEC weiterhin sichergestellt Andernfalls wäre eine Isolation des EU-Binnenmarktes zu befürchten.
  • das Urheberrecht bei den Normungsorganisationen verbleibt. Der kostenfreie Zugang zu harmonisierten Normen könne Dritten durch eine Lesefreigabe gewährt werden, ohne dass sie ein Recht auf Vervielfältigung erhalten.

Die Reaktion der EU-Kommission steht noch aus. Die europäischen und nationalen Normungsorganisationen sind offen dafür, ein Portal einzurichten, über das hEN einsehbar sind. Jedoch muss vorher die genaue rechtliche und organisatorische Umsetzung geklärt werden.

Was sind harmonisierte Normen?

Bei hEN handelt es sich um eine Sonderform der europäischen Normen (EN). Sie werden nach den Vorgaben der EU-Rechtsvorschriften wie Maschinenrichtlinie/-verordnung, Niederspannungsrichtlinie, Spielzeugrichtlinie, usw. entwickelt. Wendet ein Hersteller eine harmonisierte Norm bei seinem Produkt an (gilt auch für Dienstleistungen und Verfahren), wird automatisch angenommen („vermutet“), dass das Produkt den geltenden EU-Rechtsvorschriften entspricht – die sog. Konformitätsvermutung. Die harmonisierte Norm bildet damit den Nachweis, dass ein Produkt allen notwendigen EU-Rechtsvorschriften entspricht.

Harmonisierte Normen werden durch die europäischen Normungsorganisationen CEN, CENELEC oder ETSI entwickelt. Besonders ist, dass der Auftrag zur Normenerstellung (Normungsauftrag) von der Europäischen Kommission gestellt wird und die hEN im EU-Amtsblatt veröffentlicht werden. Tatsächlich macht erst die Veröffentlichung im Amtsblatt eine Norm zur harmonisierten Norm.

 

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Links und Quellen

DKE: Harmonisierte Normen – Europäischer Rechtsrahmen: https://www.dke.de/de/normen-standards/harmonisierte-normen, 20.03.2024

EU-Richtlinien online: EU-Richtlinien und „neue Konzeption“: https://www.eu-richtlinien-online.de/de/informationen/eu-richtlinien-und-neue-konzeption-, 20.03.2024