Nahaufnahme einer Bronzefigur der Justizia.

Folgen des Malamud-Urteils: Vorerst keine EN ISO und EN IEC-Normen mehr im EU-Amtsblatt

Vor gut einem Jahr sorgte das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Causa „Malamud“ für Aufsehen. Die Kläger hatten gefordert, harmonisierte Normen im EU-Amtsblatt als Teil des Unionsrechts frei und kostenlos jedem Bürger der EU zugänglich zu machen. Einige Wochen später reichten die internationalen Normungsorganisationen ISO und IEC beim EuGH Widerspruch gegen dieses Urteil ein und verlangten, den bisherigen Beschluss für nichtig zu erklären. In der Klageschrift heißt es, die kostenlose Bereitstellung von EN-Normen, die auf internationaler Ebene entwickelt wurden, verstoße gegen das Urheberrecht.

Aufgrund dessen besteht derzeit ein Urheberrechtsproblem, weshalb die ESOs aktuell keinerlei EN ISO- bzw. EN IEC-Normen zur Veröffentlichung im EU-Amtsblatt vorschlagen können. Dies betrifft derzeit bspw. die Normenreihe EN ISO 10218 für Industrieroboter.

Wie gravierend die Folgen der Klage sind, lässt sich schwer abschätzen. In jedem Fall dürfte die bisher etablierte Architektur des europäischen Normenwesens Risse bekommen haben, da immer mehr europäische Normen auf Basis internationaler Standards aufgebaut sind. In den letzten Jahren haben die ESOs auf Basis des sog. Vienna Agreement bzw. Frankfurt Agreement immer enger mit den internationalen Normungsinstituten zusammengearbeitet, um identische europäische und internationale Standards parallel zu entwickeln und zu veröffentlichen. Dies betrifft etwas über 200 EN-ISO- bzw. EN-IEC-Normen von den 800 Normen im EU-Amtsblatt zur Maschinenrichtlinie 2006/42/EG, also knapp ein Viertel. In diesen Normen sind zahlreiche global genutzte Normen enthalten, die für Hersteller von Maschinen von großer Bedeutung sind. Derzeit sind zahlreiche dieser häufig genutzten Normen von einer Revision betroffen, darunter die neue EN ISO 12100 (Risikobeurteilung und Risikominderung), die EN ISO 20607 (Betriebsanleitung für Maschinen) oder die EN ISO 13855 (Anordnung von Schutzeinrichtungen). Für diese Normen wäre nach aktuellem Stand eine Veröffentlichung im EU-Amtsblatt nach Maschinenrichtlinie (und künftig nach neuer Maschinenverordnung) nicht absehbar. Im Falle der Niederspannungsrichtlinie ist der Prozentsatz etwas geringer, von den 600 aktuell gelisteten Normen haben etwas über 60 einen ISO- bzw. IEC-Hintergrund. Dieser Prozentsatz dürfte jedoch in den kommenden Jahren deutlich ansteigen, da bisherige reine EN-Normen auch auf Basis der internationalen IEC-Norm publiziert werden. Beispiele hierfür sind die künftige prEN IEC 60204-1 (elektrische Ausrüstung von Maschinen), EN IEC 60669-2-1 (Schalter für Haushalt und ähnliche ortsfeste elektrische Installationen) oder die Normenreihe EN IEC 60269 (Niederspannungssicherungen).

Im europäischen Produktrechtssystem hat sich das enge Zusammenspiel von gesetzlichen Vorschriften wie EU-Richtlinien und EU-Verordnungen und harmonisierten europäischen Normen ebenfalls bewährt. In den Vorschriften wird erwähnt, dass, sofern im jeweiligen EU-Amtsblatt Normen gelistet sind, davon ausgegangen werden kann, dass durch deren Anwendung die abgedeckten Anforderungen der Vorschrift, das sog. Konformitätsvermutungsprinzip, ebenfalls erfüllt ist.

EN-Normen werden seitens der EU-Kommission unter Einbeziehung sogenannter HAS-Consultants geprüft und im EU-Amtsblatt veröffentlicht. Häufig unerwähnt bleibt, dass die EU-Vorschriften nicht nur die Anwendung der o.g. Normen erlauben, sondern auch die Einhaltung des Standes der Technik fordern. Zur Erfüllung der Anforderungen und in weiterer Folge des Standes der Technik bieten die Inhalte harmonisierter Normen „einen guten Anhaltspunkt für den Stand der Technik zum Zeitpunkt ihrer Annahme“. Der Stand der Technik kann sich jedoch schneller ändern, als die Norm überarbeitet und mit Verspätung im EU-Amtsblatt veröffentlicht wird. Anwender sollten sich daher nicht ausschließlich von der Konformitätsvermutung einer harmonisierten Norm im EU-Amtsblatt leiten lassen. Es empfiehlt sich zu prüfen, ob neuere Normenausgaben andere und ggf. weiterführende Anforderungen stellen als die aktuell im EU-Amtsblatt veröffentlichten Versionen. Rechtliche Pflicht ist die Erfüllung des Standes der Technik. Gelingt dies besser durch neuere, aber nicht im EU-Amtsblatt gelistete Normen, wäre eine Argumentation, warum die veraltete Norm herangezogen wurde, in aller Regel sehr schwer zu erbringen.

Quelle


IBF Solutions: Folgen des Malamud-Urteils: Keine EN ISO und EN IEC-Normen mehr im EU-Amtsblatt? https://www.pressebox.de/pressemitteilung/ibf-solutions-gmbh/folgen-des-malamud-urteils-keine-en-iso-und-en-iec-normen-mehr-im-eu-amtsblatt/boxid/1264063

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